Von Kleidern und Körpern
Für die erste Wechselausstellung im neuen S‑MAK wurde die Szenografin
Larissa Kramarek eingeladen, sich künstlerisch mit den Archivbeständen der Sammlung auseinanderzusetzen. Ausgangspunkt der Ausstellung bildet eine
Auswahl an Kleidern aus dem Archivbestand, mit denen die Künstlerin in eine intensive Wechselbeziehung tritt. Über den violetten Boden, der die multimediale Landschaft absteckt, können die Besucher:innen durch einen Parcours an Skulpturen, Videos, Archivstücken und Soundarbeiten flanieren und sich selbst in viele verschiedene Perspektiven hineinversetzen. Bereits beim Betreten fällt die Sitzinsel ins Auge: Ein Übersichtspunkt in dieser immersiven Topografie, die zum Verweilen einlädt und dem Publikum anbietet, sich über die Kopfhörer Geschichten anzuhören: Die Künstlerin hat für die Ausstellung Kolleg:innen gebeten, vor der Kamera und dem Mikrofon die Stoffe zu fühlen, sie eingehend zu betrachten und ihre Gedanken zum Thema Mode, Körper und Identität zu teilen.
Wenn jene Stimmen in den Kopfhörern auf neugierige, liebevolle, aber auch zaghafte oder schüchterne Art über ihre Haut, ihre Körper und Kleidung sprechen, wird erkennbar, wie stark das alltägliche Erleben durch Kleidung beeinflusst wird. Mode repräsentiert nicht nur einen Zeitgeist und seinen jeweiligen Stil, sondern kann auch Stereotypen und Ideale von Körperbildern reproduzieren. Larissa Kramareks Reise in das Materialarchiv fördert nicht nur die Geschichte des Lustenauer Handwerks zutage, sondern legt schichtweise die Wechselwirkung zwischen Schönheitsidealen, Normvorstellungen und regionaler Textilproduktion frei. „Von Kleidern und Körpern“ ist eine Ausstellung über die Macht der Mode, Körper an ihren vermeintlich gehörigen Platz in der Gesellschaft zu verweisen. Aber es ist auch eine Ausstellung über die unerfüllten Sehnsüchte, Fantasien und Träume, die in jede Masche eingewoben sind. So beschreiben die erzählenden Stimmen Kleidung mal als empowernde Rüstung, mal als einengendes Korsett. Mal ihre Körper als Rückzugsort und Ausdruck ihrer Persönlichkeit, mal als unfreiwilligen Schauplatz gesellschaftlicher Kämpfe. Denn ein Ausbruch aus den Regeln erfordert Mut und birgt die Gefahr, als Exzentriker:in oder Sonderling verstanden zu werden. Cross Dressing, Queerness und fat pride sind noch immer ambivalent verhandelte Phänomene in der Mode.
An hängenden Gestängen schweben Archivstücke. Elegant, leicht, labyrinthisch, geisterhaft. Zu ihren Füßen liegt wie ein Findling eine von zwei im Raum verteilten Gipsplastiken. Sie sind das Resultat überlagerter 3D-Scans unterschiedlicher menschlicher Körper, die mit den Kleidern interagiert haben. Eine abstrakte und poetische Referenz auf die abwesenden Körper, denen die Kleider als Hüllen dienen und die in der Ausstellung nur als Stimmen oder Videobilder ohne körperliche Präsenz erscheinen.
Auf große Banner gedruckt, begegnen die Objekte als Nahaufnahmen den Besucher:innen in der begehbaren Blackbox auf ihrem Rundgang durch den Raum wieder. Weiche Sitzelemente laden dazu ein, sich in die formlosen Textilkörper einsinken und umschlingen zu lassen. Verschiedene Motive und Fragen tauchen wie Echos immer wieder in der Ausstellung auf. Prägend für die künstlerische Praxis von Larissa Kramarek sind Videoinstallationen, mit denen sie auch für diese Ausstellung arbeitet. Zentrales Moment des Rundgangs bildet die Videoarbeit „about layers“ (2024). Im Fühlen und Erkunden der Kleider lösen die Grenzen der Individuen sich schrittweise auf. Aus den Bildern von konkreten Personen, die den Kleidern nachspüren, wird ein kollektives Moment. Geschlechterrollen und Körper verschlingen sich ineinander mit den Kleidern der Sammlung. Zwischen all den Auflösungserscheinungen finden die Besucher:innen keine klaren Antworten über das Verhältnis von Kleidern und Körpern, sondern sind eingeladen, sich lustvoll in den Wirrungen dieses multimedialen Knäuels zu verirren.
Die in Wien lebende Bühnen- und Kostümbildnerin studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien Szenografie bei Anna Viebrock sowie Kunst und digitale Medien in der Klasse von Constanze Ruhm. In ihrer künstlerischen Praxis nimmt die Bedeutung des Körpers im Raum eine zentrale Stellung ein. 2018 verkaufte sie in der Performance „Bodyshop“ Silikonabgüsse ihrer Körperteile zum handelsüblichen Metzgereipreis und stellte die Verbindungen zwischen sich als Künstlerin, ihrem weiblichen Körper als verkäuflicher Ware, medialen Blickregimen und der Lust am Spektakel zur Schau. Den Ausbruch aus der Konvention der Form inszeniert sie mit den – oft das Komische tangierenden – Kostümen ihrer Produktionen. Plateaus, Petticoats, Stehkragen und Schnabelschuhe finden sich wiederkehrend in ihren Kostümbildern.
Die drastisch überformten, historischen Eigenarten vergangener Modeepochen werden den spielenden Körpern auf der Bühne mitunter zum Verhängnis, zwingen sie dazu, sich zu ihren Kleidern zu verhalten, und offenbaren die performative Ebene der Mode im wahrsten Sinne des Wortes. Aufblasen, Aufplustern, Verzerren, Verziehen, Dehnen, Strecken oder Stauchen – Effekte des Kleidens finden in ihren Entwürfen eine theatrale und ins Absurde driftende Umsetzung. In der Produktion „sense of belonging“ am Schauspielhaus Hannover 2022 wurden die modischen Accessoires zu Prothesen – Erweiterungen der Körper der jugendlichen Spieler:innen auf der Suche nach Identität und Subjektivität – und somit Verstärker ihrer künstlerischen Stimmen. Die 2021 für die DAS Graduate School Amsterdam inszenierte Installation „Drift“ ermöglichte den Besucher:innen eine immersive Erfahrung des Bühnenbildes und hob so die traditionelle Trennung zwischen Zuschauer:innen- und Bühnenraum auf. In dieser begehbaren Installation wurde das Publikum zum Bestandteil des Werks, eine Bewertung des Gesehenen aus der sicheren Distanz der Theaterränge blieb verwehrt. Jede:r war auf seine:ihre eigene, subjektive Wahrnehmung zurückgeworfen.
Auch „Von Kleidern und Körpern“ changiert entlang der Grenzverläufe von
Dramaturgie, Szenografie und immersivem Erfahrungsraum. Die Expanded
Scenography von Larissa Kramarek ermöglicht, die Gleichzeitigkeit der Mode als ästhetische Kategorie und ästhetisches Régime erfahrbar zu machen.
Text: Anne Zühlke