Sechs Wochen leben und arbeiten in Lustenau: Kunstwissenschaftlerin Anne Zühlke und Künstlerin Margarita Rozhkova wurden aus 35 Bewerberinnen und Bewerbern für das diesjährige von den Lustenauer Institutionen S‑MAK, Druckwerk und DOCK 20 ausgeschriebene Stipendium ausgewählt.
Sie recherchieren in unberührten Archiven, blicken hinter die Kulissen der verborgenen Textilkultur und arbeiten die Auswirkungen auf die Region heraus. Die Stipendiatinnen präsentieren Anfang September im kleinen Ausstellungsraum des DOCK 20 – Kunstraum und Sammlung Hollenstein ihre Arbeitsergebnisse.
African Lace aus Lustenau
Seit Ende Juli leben Anne Zühlke und Margarita Rozhkova temporär in Lustenau und benützen das Druckwerk als Atelier, wo sie sich intensiv mit der Sammlung des S‑MAK auseinandersetzen. Beide sind fasziniert von der Geschichte rund um die afrikanische Spitze und die Wirtschaftsbeziehungen Lustenaus nach Afrika: Die Vorarlberger Stickereien bereichern den nigerianischen Markt seit dem Boom in den 1960er Jahren. Auch heute noch wird die Hälfte der Produktion nach Westafrika geliefert, trotz der globalen Verschiebung der Textilproduktion nach Asien.
Der sogenannte „African Lace“ aus Vorarlberg steht in Afrika für materiellen Reichtum, Glanz und Wohlstand. Die Sammlung des S‑MAK ermöglicht den Künstlerinnen bislang unentdeckte Einblicke in die Textilwelt aus verschiedenen Perspektiven. Die zugänglichen Archive und die regionale Beschränkung begünstigen genaues Arbeiten an aussagekräftigen Ergebnissen.
Über die Produktion der Ausstellung
Kunsthandwerkliche Gegenstände vereinen Kultur mit der technischen Geschicklichkeit der Fabrikantinnen – diese Perspektive führt Anne Zühlke zur Leitfrage ihres Forschungsaufenthaltes: „Gibt es eine Ästhetik der Migrationsgeschichte in der Lustenauer Spitze?“ Die Kulturhistorikerin aus Wien ließ sich von der Geschichte der nigerianischen Gewänder inspirieren und möchte die Kulturhistorie in konzeptualisierter Form präsentieren. Sie stellt die Regionalgeschichte dem Menschen gegenüber und verarbeitet ihre Eindrücke in Form einer Publikation und eines Videos. In die Ausstellung sollen vor allem auch persönliche Erfahrungen ihres Aufenthalts in Ghana miteinfließen.
Die Textildesignerin Margarita Rozhkova konzentriert sich primär auf die Auswirkungen des Kolonialismus in Bezug auf die Stickerei: „Als ein Resultat meiner Recherchen kann ich mir eine textile Installation vorstellen, die die drei Elemente – Erdöl, Stickerei und Maschine – im Rahmen von Postkolonialismus, Klasse und Mode belichtet.“ Die Handstickerei und der Siebdruck fließen in ihre Arbeit mit ein. Ziel sei eine Auflösung der Grenzen zwischen analogen und digitalen Materialien in Form eines Ausstellungsstückes.
Über die Künstlerinnen
Anne Zühlke, Grenzgängerin zwischen Theorie und Praxis, absolvierte unter anderem ihren Master of Arts in Social Design Arts as Urban Innovation an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Neben dem Abschluss Bachelor of Arts in Kunstgeschichte & Filmwissenschaften an der Friedrich Schiller Universität in Jena war sie als Tutorin am Institut für Kunstgeschichte in Wien tätig. Ihre Themenschwerpunkte liegen meist im Bereich der gesellschaftspolitischen Praxis, Gegenwarts- und der Postinternetkunst. Sie fokussiert sich auf die kunsthistorischen Hintergründe und beschäftigt sich mit dem Zerfall und der Neukonstruktion der Zeit. Ihre interdisziplinäre Vorgehensweise ermöglicht ihr nebenbei das Arbeiten beim Magazin MALMOE, das Rezensieren von Arbeiten und das Eingehen auf gesellschaftspolitische Diskurse.
Die Designerin Margarita Rozhkova aus Berlin absolvierte zwei Bachelor of Arts in Deutschland und Russland. Ihr zusätzlicher Master of Arts in American Studies spezialisierte sie auf „Afrofuturism Then and Now: Contextualizing Black Experience Through Art“. Im Bereich Fashion und Textilien konzentrierte sie sich auf die Entwicklung von konzeptbasiertem Textil. Als Inspiration dienen ihr hauptsächlich Musterbücher und Sammlungen, Fotografien, Lochkarten und Stickereimuster. Des Weiteren half sie bereits an der Deutschen Oper Berlin und bei der „Gianni Versace Retrospective Exhibition“ aus.
Programm
Die Ausstellung wird am 3. September 2020 im kleinen Ausstellungsraum des DOCK 20 eröffnet, parallel dazu findet die Eröffnung der Ausstellung „dropping distance“ von Nana Mandl im großen Ausstellungsraum statt. Kurt Fischer wird um 19 Uhr begrüßen, danach gibt Anne Zühlke einen kurzen Überblick über die entstandenen Projekte und die Ausstellung.
Am Tag darauf gibt es die Möglichkeit, hinter die Kulissen zu blicken: Am 4. September 2020 sprechen die beiden Stipendiatinnen Anne Zühlke und Margarita Rozhkova um 16 Uhr über den sechswöchigen Arbeitsaufenthalt in Lustenau und ihre Nachforschungen zur lokalen Stickereitradition.
Die Teilnahme ist für BesucherInnen mit gültigem Ausstellungsticket frei.
Termine
3. September 2020 / 19.00 Uhr Eröffnung: Anne Zühlke und Margarita Rozhkova – Residency Stipendiatinnen 2020 (kleiner Ausstellungsraum) Nana Mandl – „dropping distance“ (großer Ausstellungsraum)
Begrüßung: Kurt Fischer, zur Ausstellung spricht: Anne Zühlke
4. September 2020 / 16.00 Uhr Dialogführung: Künstlerin Margarita Rozhkova und Kunstwissenschaftlerin Anne Zühlke erzählen über ihren Arbeitsaufenthalt in Lustenau und ihre Recherche zur lokalen Stickereitradition Teilnahme frei mit gültigen Ausstellungsticket.